Fehler der Beobachtung(en) (Geodäsie/Vermessung)

Barny.G, Wednesday, 23.07.2014, 12:14 (vor 3536 Tagen)

Hallo liebe Leute,

meine Frage ist sicher ein wenig trivial, aber irgendwie hänge ich da fest...

In einer Ausgleichung kommt man irgendwann an den Punkt der Normalengleichung

A^\top A x = A^\top d

wobei A die Designmatrix, x der gesuchte Ergebnisvektor und d der Datenvektor mit den Beobachtungen sein soll. Nun ist mir völlig klar, dass aus der Hauptdiagonalen der KovMatrix

C = s_0^2 (A^\top A)^{-1} \hspace{15pt} \text{mit} \hspace{15pt} s_0^2 = \frac{v^\top v}{n-u}  \hspace{15pt} \text{und} \hspace{15pt} v = Ax - d

die Varianzen der Elemente des Ergebnisvektors x abgelesen werden können. Nun möchte ich mein Modell aber erweitern um eine Wichtungsmatrix P

A^\top P A x = A^\top P d

in der ich die Genauigkeiten/Fehler(?) der Beobachtungen als Wichtungsparameter verwende. Nur kenne ich diese Fehler nicht und möchte sie gern im Ausgleichungsprozess schätzen. Ich bin mir ziemlich sicher "irgendwo" mal sowas gesehen/gelesen zu haben...

Weiß jemand Rat und Lösung? ;-)

Viele Grüße

Thomas

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Unsicherheit der Beobachtung(en)

MichaeL ⌂, Bad Vilbel, Wednesday, 23.07.2014, 13:20 (vor 3536 Tagen) @ Barny.G

Hallo Thomas,

in der ich die Genauigkeiten/Fehler(?) der Beobachtungen als Wichtungsparameter verwende. Nur kenne ich diese Fehler nicht und möchte sie gern im Ausgleichungsprozess schätzen.

Du musst ein wenig aufpassen mit der Terminologie, damit Missverständnisse vermieden werden. Die Fehler (oder die Verbesserungen) werden im Zuge der Ausgleichung mitbestimmt. Wie Du selbst gezeigt hast:

v = Ax - d

Du willst aber vielmehr die Unsicherheiten Deiner Beobachtungen aufeinander abstimmen, bspw. weil Du mit zwei unterschiedlich genauen Instrumenten gemessen hast. In diesem Fall würde ich eine Varianzkomponentenschätzung durchführen. Auch hier musst Du ein Modell haben, wie sich Deine Unsicherheiten zusammensetzen. Ein einfaches Beispiel könnte so aussehen:

P^{-1} = C = \sigma_1^2  \begin{bmatrix} I & 0 \\ 0 & 0 \end{bmatrix} + \sigma_2^2  \begin{bmatrix} 0 & 0 \\ 0 & I \end{bmatrix}

Hierbei wird unterstellt, dass jedes Instrument (oder Messmethode) für sich genommen Beobachtungen erzeugt, die die selben Unsicherheiten haben; das eine Instrument aber genauer ist als das andere. Im Rahmen der Varianzkomponentenschätzung werden die instrumentenspezifischen Vorfaktoren, die σ in der Gleichung, bestimmt.

Gruß Micha

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Tags:
Ausgleichung, Unsicherheit, Varianzfaktor, Varianzkomponentenschätzung

Unsicherheit der Beobachtung(en)

Barny.G, Wednesday, 23.07.2014, 14:19 (vor 3536 Tagen) @ MichaeL

Hallo Micha,

ja, ich habe mich sicher missverständlich ausgedrückt. Wir nehmen als Beispiel die nichtlineare Ausgleichung eines mehrfachen Bogenschnittes als Grundlage.

Da die Designmatrix A nichtlinear ist, muss linearisiert werden (Jacobimatrix J) und damit lautet die Minimierung

f(x) = \text{min} (J_i - \Delta d_i) \hspace{15pt} \text{mit} \hspace{15pt} \Delta d_i = A_ix - d

Nun könnte ich in jedem Iterationsschritt

J_i^\top J_i \Delta d_i \stackrel{?}{=} s_{0_{i}}^2

berechnen und mir so die aktuellen Messfehler "besorgen". Sie werden sicher schwanken, was möglicherweise an der Linearisierung liegen könnte.

Mein Ziel ist es, ohne Kenntnis der tatsächlichen Messfehler (immer das gleiche Gerät) eine Wichtung der Messelemente vornehmen zu können und damit das Ergebnis am Ende zu verbessern.

Wird mein Anliegen jetzt klarer?

Viele Grüße

Thomas

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Unsicherheit der Beobachtung(en)

MichaeL ⌂, Bad Vilbel, Wednesday, 23.07.2014, 14:35 (vor 3536 Tagen) @ Barny.G

Hi,

Mein Ziel ist es, ohne Kenntnis der tatsächlichen Messfehler (immer das gleiche Gerät) eine Wichtung der Messelemente vornehmen zu können

Es sind also verschiedene Messelemente (Winkel und Strecken)? Dann gilt das gesagt analog. Hier würde man im einfachsten Fall einen Faktor für die Strecken und einen für die Richtungen schätzen. Das genannte Modell der Varianzkomponentenschätzung wäre also auch hier zielführend. Selbstverständlich lassen sich auch weitere Vorfaktoren finden. Man muss lediglich ein Modell für die Entstehung der Unsicherheiten annehmen. Die Anzahl ist aber begrenzt, wenn eine zuverlässige Schätzung erzielt werden soll.

Ich sehe keinen Grund, Strecken, die mit dem selben Instrument gemessen wurden, unterschiedlich zu gewichten. Warum willst Du dies tun?

Schöne Grüße
Micha

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Unsicherheit der Beobachtung(en)

Barny.G, Wednesday, 23.07.2014, 15:13 (vor 3536 Tagen) @ MichaeL

Moin,

ich muss gleich noch einmal voranschicken, dass es sich bei dem Bogenschnitt um ein Beispiel handelt, an dem sich mein Dilemma gut erklären lässt. Das eigentliche Problem ist ein bisschen komplexer aber gleichgeartet.

Es sind also verschiedene Messelemente (Winkel und Strecken)?

Nein, es sind (im Beispiel) ausschließlich Strecken, die mit ein und demselben Instrument gemessen wurden.

Ich sehe keinen Grund, Strecken, die mit dem selben Instrument gemessen wurden, unterschiedlich zu gewichten. Warum willst Du dies tun?

Weil diese (vielen) Strecken unterschiedlichsten Fehlereinflüssen ausgesetzt sind. D.h. es sind unterschiedlich lange Wege durch eine unbekannte Verteilung der Medien (Luftfeuchte, Temperatur, Luftdruck, Verschmutzung, Refraktion u.v.m.) in der Luft zurückgelegt wurden.

Nun ist es so, dass diese Einflüsse auf die jeweils gemessene Strecke sich naturgemäß mit der Änderung der Durchlauflänge ändern. (iterative Verschiebung des Punktes x)

Kann ich diese Änderung der (Fehler)Einflüsse in irgendeiner Weise für mein Endergebnis verwenden oder gar die Iteration steuern? Kann man aus diesen eingesammelten Daten einen (statistischen) Nutzen ziehen? Bzw. eine Aussage zur Sicherheit/Genauigkeit der einzelnen Strecken machen? Und damit eben doch eine Gewichtung "durch die Hintertür" einbauen?

Viele Fragen...

Schöne Grüße

Thomas

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Unsicherheit der Beobachtung(en)

MichaeL ⌂, Bad Vilbel, Wednesday, 23.07.2014, 15:29 (vor 3536 Tagen) @ Barny.G

Hallo,

Weil diese (vielen) Strecken unterschiedlichsten Fehlereinflüssen ausgesetzt sind. D.h. es sind unterschiedlich lange Wege durch eine unbekannte Verteilung der Medien (Luftfeuchte, Temperatur, Luftdruck, Verschmutzung, Refraktion u.v.m.) in der Luft zurückgelegt wurden.

Okay, dann musst Du doch nur ein anderes Modell für die Varianzkomponentenschätzung verwenden. Nehmen wir an, Du willst einen additiven und einen streckenabhängigen Anteil berücksichtigen bei Deinen Strecken, dann sähe das zerlegte Modell wie folgt aus:

P^{-1} = C = \sigma_1^2  \begin{bmatrix} 1 & 0 & 0 \\ 0 & 1 & 0 \\ 0 & 0 & 1 \end{bmatrix} + \sigma_2^2  \begin{bmatrix} s_1^2 & 0 & 0 \\ 0 & s_2^2 & 0 \\ 0 & 0 & s_3^2 \end{bmatrix}

wobei s die jeweiligen (individuellen) Strecken sind. Du schätzt für Deinen einen Distanzmesser also zwei Varianzfaktoren. Durch s werden alle gemessenen Strecken individuelle gewichtet.

Wenn Du nun noch bspw. an unterschiedlichen Tagen gemessen hast, kannst Du weitere Untergruppen bilden. Du solltest nur darauf achten, dass zum Schätzen der σ genügend Beobachtungen pro Gruppe bleiben, damit der Wert zuverlässig ist.

Kann ich diese Änderung der (Fehler)Einflüsse in irgendeiner Weise für mein Endergebnis verwenden oder gar die Iteration steuern?

Die Varianzkomponentenschätzung kann parallel zur eigentlichen Ausgleichung laufen, ja.

Und damit eben doch eine Gewichtung "durch die Hintertür" einbauen?

Gewichtungen (oder allg. das angenommene stochastische Modell) sollten nachvollziehbar und begründbar sein. Bei einer Formulierung wie "durch die Hintertür" hätte ich meine Zweifel, ob Du das kannst. ;-)

Schöne Grüße
Micha

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Ausgleichung, Unsicherheit, Varianzfaktor, Varianzkomponentenschätzung

Unsicherheit der Beobachtung(en)

Barny.G, Wednesday, 23.07.2014, 15:40 (vor 3536 Tagen) @ MichaeL

Auch Hallo :-)

also der Hinweis mit

P^{-1} = C = \sigma_1^2  \begin{bmatrix} 1 & 0 & 0 \\ 0 & 1 & 0 \\ 0 & 0 & 1 \end{bmatrix} + \sigma_2^2  \begin{bmatrix} s_1^2 & 0 & 0 \\ 0 & s_2^2 & 0 \\ 0 & 0 & s_3^2 \end{bmatrix}

wobei s die jeweiligen (individuellen) Strecken sind. Du schätzt für Deinen einen Distanzmesser also zwei Varianzfaktoren. Durch s werden alle gemessenen Strecken individuelle gewichtet.

gefällt mir schon sehr gut. Das lässt sich super auf das eigentliche Problem übertragen. Allerdings bleibt für mich noch eine Frage offen:

Du solltest nur darauf achten, dass zum Schätzen der σ genügend Beobachtungen pro Gruppe bleiben, damit der Wert zuverlässig ist.

Genau: wie schätze ich die σ eigentlich? Denn das ist ja mein Hauptproblem (gewesen)...

VG

Thomas

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Unsicherheit der Beobachtung(en)

MichaeL ⌂, Bad Vilbel, Wednesday, 23.07.2014, 15:49 (vor 3536 Tagen) @ Barny.G

Hallo Thomas,

wie schätze ich die σ eigentlich? Denn das ist ja mein Hauptproblem (gewesen)...

Dein Stichwort ist Varianzkomponentenschätzung. Hierzu solltest Du bei Niemeier, Jäger oder Koch etwas finden. Ansonsten kann ich Dir die Arbeit meines sehr geschätzten Freundes und ehm. Kollegen Hermann Bähr auch ans Herz legen: Variance Component Estimation, sofern Englisch kein Problem ist.

Schöne Grüße
Micha

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Barny.G, Wednesday, 23.07.2014, 15:57 (vor 3536 Tagen) @ MichaeL

Hallo Micha,

nein, Englisch ist problemfrei ;-) Die Arbeit des

sehr geschätzten Freundes und ehm. Kollegen Hermann Bähr

werde ich mir heute Abend mal ansehen. Denn wahrscheinlich liegt genau in der Varianzkomponentenschätzung der Hase im Pfeffer...

Vielen Dank einstweilen!!

Thomas.

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