Feinabsteckung (Geodäsie/Vermessung)

ErikE @, Monday, 07.03.2016, 22:39 (vor 2964 Tagen)

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Interesse gilt dem profanen Thema "Feinabsteckung". Ich bin zwar selbst Vermessungsingenieur, muss aber zugeben, dass mir die Thematik "Ausgleichungsrechnung" nicht mehr ganz geläufig ist, zumal sich diese auch recht umfassend darstellt.

Meine eigenen Tätigkeiten umfassten das Thema "Feinabsteckung" bisher nicht. Bin merh im Thema Kranbahnvermessung und 3D-Laserscanning drin.
Ich muss jedoch feststellen, dass ich im Dialog mit Kollegen oder Geschäftspartnern eine recht unbesorgte Vorgehensweise dieser mit dem Thema Feinabsteckung sehe.

Ich meine es wie folgt:
Die Fachkollegen stationieren sich erschrecken oft per "freier Staionierung" direkt über Grenzpunkte mit Verwendung eines Maßstabsfaktors "m=1". - Und stecken dann das Gebäude ab. Ohne vorher großartig die Gegegbenheiten zu ergründen.
Hmmmmm.....

Ich habe ja mal was von Nachbarschaftstreue gehört. Bitte nicht auslachen! Vielleicht bin ich ja nicht auf dem Stand der Dinge, aber muss man nicht vorher mal die Richtigkeit der Grenzpunkte vor Ort überprüfen? Und was macht man, wenn die Grenzpunkte dann schiefstehen? Steckt man dann den "wahren Wert", also die Sollkoordinate des GP ab?

Was ist dann mit der Stationierung? Frei ist ja OK, - aber doch mit Maßstabsfaktor, oder?
D.h., dass der Standpunkt des Tachymeters nachbarschaftstreu eingebunden wird, oder?

Erst ab jetzt wird mit einem Maßstab m=1 das Gebäude abgesteckt.

Wie geht man übrigens bei der Erstellung von zusätzlichen Anschlusspunkten vor? Werden die mit Maßstab ungleich 1 eingemessen?

Wie macht man es fachgerecht!

Feinabsteckung

derMoeller, Monday, 07.03.2016, 23:03 (vor 2964 Tagen) @ ErikE
bearbeitet von derMoeller, Monday, 07.03.2016, 23:24

Moinsen!
Also die Messanordung die du beschreibst hat nichts mit einer freien Stationierung zu tun sondern eher einer Zwangszentrierung!Sprich sich auf einen bekannten Punkt aufstellen und dann über die Richtung eines weiteren Punktes stationieren.

Natürlich muss man vor der Absteckung seine Stationierung überprüfen, also die Identität der Anschlußpuntke sicherstellen sonst wäre das echt fahrlässig.
Maßstabsfaktor 1 halte ich persönlich für richtig für die Obejketpunkte, da ansonsten die Maße am Bau geändert werden, was auf keinen Fall passieren darf.

Bezüglich der Absteckung der Soll-Koordinate. Das kannst du nur machen, wenn alle Grenzsteine in guter Qualität vorliegen( DH 1300; VW 1200)Sollte diese Qualitätsstufen nicht vorliegen, muss eine örtliche Anpassung der Objektpunkte an die Grenzpunkte erfolgen(Grenzabstände und sonstige Zwänge)

Grundsätzlich sollte man eine Feinabsteckung nur im Nahbereich durchführen. bedeutet im Endeffekt:
Am besten eine örtliche Basis ohne Maßstabsfaktor
Möglichst kurze Zielweiten und nach Möglichkeit nur ein Standpunkt.

So, dass sollte es im Groben sein!

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Feinabsteckung

MichaeL ⌂, Bad Vilbel, Monday, 07.03.2016, 23:19 (vor 2964 Tagen) @ ErikE

Hi Erik,

Sehr geehrte Damen und Herren,

so förmlich muss es hier nicht sein und wir Duzen uns hier im Allgemeine auch. Ich würde ungern mit dieser Regel brechen.

aber muss man nicht vorher mal die Richtigkeit der Grenzpunkte vor Ort überprüfen?

Im Rahmen der freien Stationierung prüft er die doch implizit mit. Nach der Stationierung kannst Du Dir die Restklaffen anschauen für jeden Anschlußpunkt und ggf. sogar eine Robuste Schätzung durchführen, wenn was im Argen liegt. Ich kann jetzt nur für Leica sprechen, bin aber zuversichtlich, dass dies auch andere Hersteller so handhaben. Insofern sollte bei der freien Stationierung bereits erkennbar sein, ob die Örtlichkeit mit den Unterlagen konform ist.

Und was macht man, wenn die Grenzpunkte dann schiefstehen?

Für die Stationierung nicht verwenden, was sonst?

D.h., dass der Standpunkt des Tachymeters nachbarschaftstreu eingebunden wird, oder?

Oder dass Du eine unzureichende Temperaturkorrektur durch das Mitschätzen des Maßstabs versuchst zu kompensieren - Voraussetzung ist aber, dass Deine Anschlußpunkte stimmen müssen (und zwar in der Größenordung Deiner Messunsicherheiten).


Schöne Grüße
Micha

--
applied-geodesy.org - OpenSource Least-Squares Adjustment Software for Geodetic Sciences

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Feinabsteckung

AWO, Nussbaumen AG, Tuesday, 08.03.2016, 10:37 (vor 2964 Tagen) @ MichaeL

Ich spreche jetzt nur für die Schweiz, aber ich benutze für Schnurgerüstabsteckungen nur die amtliche Vermessung und verwende bei einer (freien) Stationierung nur Polygonpunkte, da nur diese in einer vernünftigen Lagequalität vorliegen. Die Einpassung des Gebäudes nehme ich dann immer über die Grenzen der amtlichen Vermessung vor. Grenzpunkte vor Ort prüfe ich nicht, wenn ich die Sollkoordinate dieses Punktes kenne.

Gruss Andy

Feinabsteckung

Bernd, Friday, 11.03.2016, 15:20 (vor 2960 Tagen) @ ErikE

Hallo ErikE,

zunächst wäre zu klären was die Kollegen und Geschäftspartner unter Feinabsteckung verstehen…
Meiner Meinung nach bedeutet eine Feinabsteckung nichts anderes, als das die Abmessungen des Projektes (Gebäude, Bauwerk, Achse…) in hinreichender Genauigkeit in die Örtlichkeit übertragen werden. Sei es direkt oder als Achsen auf ein Schnurgerüst.
Die „hinreichende Genauigkeit“ ist abhängig vom Projekt. Eine Fertigungsstraße im Maschinenbau hat natürlicherweise höhere Ansprüche an die Genauigkeit als ein freistehendes Einfamilienhaus.
Die Stationierung im Gelände, und die dazu gewählte Methode, ist davon völlig unabhängig und eigentlich als selbständige Aufgabe zu sehen, die der „Kollege“ im Vorfeld der Absteckung zu lösen hat.
Hat der Kollege bei der Feinabsteckung noch Zwangsbedingungen einzuhalten (z.B. Grenzabstände), so wird er diese vor der eigentlichen Absteckung zu prüfen haben.
Nehmen wir einmal als Beispiel die Feinabsteckung eines Einfamilienhauses und als Zwangsbedingung die Grenzbebauung.
Dann kann man wie folgt vorgehen:
- Prüfen der Lagegenauigkeit der Koordinaten der relevanten Gebäude- und Grenzpunkte anhand der Katasterunterlagen (siehe Antwort von derMoeller :

Natürlich muss man vor der Absteckung seine Stationierung überprüfen, also die Identität der Anschlußpuntke sicherstellen sonst wäre das echt fahrlässig.
Maßstabsfaktor 1 halte ich persönlich für richtig für die Obejketpunkte, da ansonsten die Maße am Bau geändert werden, was auf keinen Fall passieren darf
.)

o Ist die Genauigkeit der Koordinaten hoch (unter 2 cm), oft in Gebieten mit neuerer Baulandumlegung der Fall, kann ohne weitere Grenzprüfung abgesteckt werden (evtl örtliche Anschlußpunkte über GPS-Messung schaffen).

o Ist die Genauigkeit nicht so hoch empfiehlt sich die Grenzprüfung über die Vermessungsrisse. Hier ist auch das „Prinzip der Nachbarschaft“ einzuhalten. Dabei wird die Identität und die Lagegenauigkeit der entsprechenden Punkte festgestellt. So kann dann die „freie Stationierung“ bereits Aufschluss über die Genauigkeit der Punkte liefern (siehe Antwort von Michael:

Nach der Stationierung kannst Du Dir die Restklaffen anschauen für jeden Anschlußpunkt und ggf. sogar eine Robuste Schätzung durchführen, wenn was im Argen liegt. Ich kann jetzt nur für Leica sprechen, bin aber zuversichtlich, dass dies auch andere Hersteller so handhaben. Insofern sollte bei der freien Stationierung bereits erkennbar sein, ob die Örtlichkeit mit den Unterlagen konform ist.)

- Ist die Lage der Grenze, auf die sich die Zwangsbedingung bezieht, zweifelsfrei festgestellt, sollte diese auch als Basis dienen ( siehe Antwort von derMoeller:
Grundsätzlich sollte man eine Feinabsteckung nur im Nahbereich durchführen. bedeutet im Endeffekt:
Am besten eine örtliche Basis ohne Maßstabsfaktor
Möglichst kurze Zielweiten und nach Möglichkeit nur ein Standpunkt
.)


Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass auch eine freie Stationierung bei einer Feinabsteckung verwendet werden kann. Allerdings sollten dann die Restklaffen der Anschlußpunkte bei Null sein. Und insbesondere wenn es sich um ein größeres Projekt handelt, bei welchem mehrere Feinabsteckungen notwendig sind, sollte man sich zuvor ein Spannungsfreies Netz aufbauen.

Über schief stehende Grenzpunkte und spannungsfreie Netze gibt es natürlich auch noch viel zu sagen... Aber irgendwie kommt mir mein Text eh schon zu lang vor....
:-(
LG und ein schönes Wochenende!
Bernd

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